Da es in den letzten beiden Blogposts ja eher um „Logistisches“ meinerseits ging, schreibe ich heute mal wieder etwas, das direkt mit Gesundheit zu tun hat. Eigentlich habe ich das Thema schon mal abstrakt abgehandelt, was wahrscheinlich niemand gelesen hat, weil sich der Artikel auf fünf Seiten erstreckt (Ihr solltet den aber lesen, ehrlich). Aber was ich noch überhaupt nicht angesprochen habe (weil ich es damals noch nicht wusste) ist, wie die Schilddrüsenthematik meinen eigenen Lebensweg auf wunderbare Art und Weise formen würde. Da ich seitdem unzählige aufschlussreiche Gespräche mit Schilddrüsen-Menschen geführt habe, die an meinen Erlebnissen äußerst interessiert waren, schreibe ich heute darüber.
Ich war im Frühjahr 2014, als ich den oben verlinkten Schilddrüsen-Artikel schrieb, schon knapp zwei Jahre in endokrinologischer Behandlung. Es fing alles damit an, dass ich ein „Globus-Gefühl“ hatte, das ist ein Kloßgefühl im Hals. Das kann verschiedene Ursachen haben, aber ein beginnender Kropf ist eine davon. Es war äußerst lästig, und ich ging mehrmals zu meinem Hausarzt deswegen, der allerdings keine Ursache feststellen konnte. Von ihm durchgeführte Ultraschall- und Blutuntersuchungen waren seiner Meinung nach unauffällig. Ich selbst fand die Laborergebnisse eher nicht so gut. Die Schilddrüsenwerte waren zwar noch ganz knapp im Normbereich, aber ich wusste aus diversen Patientenforen von Leuten, die sich erst gesund fühlen, wenn die Zahlen nicht mehr ganz so grenzwertig sind. Nach ein bisschen Hin und Her bekam ich dann eine Überweisung zum Endokrinologen.
Der Endokrinologe fand meine Werte auch nicht gut und begann sofort mit der Therapie: L-Thyroxin. Ich hatte ihm natürlich auch erzählt, dass ich einen Kinderwunsch habe, und das war der zweite Knackpunkt, um dessen willen ich die Werte nicht so lassen wollte. Ich wusste schon, dass Endokrinologen bei Frauen mit Kinderwunsch einen TSH-Wert von ca. 1,0 anstreben, und das, obwohl der Normbereich eigentlich bis 4,0 geht (meiner war bei den ersten Laboruntersuchungen zwischen 3,3 und 3,8 gewesen). Nochmal ganz kurz zurück zur Theorie: das TSH ist das Thyreoidea-stimulierende Hormon, also das Hormon, das die Schilddrüse zur Hormonproduktion anregt. Ist das TSH erhöht, liegt der Verdacht nahe, dass zu wenig Schilddrüsenhormone im Blut sind, denn sonst würde der Körper nicht versuchen, die Produktion hochzufahren. Das TSH ist – leider – oft der einzige Wert, der von Ärzten so richtig ernst genommen wird, während die eigentlichen Schilddrüsenhormone nicht mehr als eine Randnotiz wert sind.
Also ging es los mit L-Thyroxin. Das entspricht dem T4, einem von zwei Hormonen, die die Schilddrüse herstellt. Das andere Hormon ist T3, und dies ist die „aktive“ Form des Hormons, die von den Zellen verwertet wird, wogegen T4 nur die Vorratsform ist, die aber in wesentlich größerem Umfang produziert wird als T3. Das allermeiste T3 wird nämlich erst bei Bedarf aus T4 hergestellt, und zwar nicht von der Schilddrüse selbst, sondern anderswo – in der Leber, im Darm usw.
Mein TSH sank, aber mir ging es nicht besser. Zwar nahm das Kloßgefühl irgendwann ab, aber dafür bekam ich so Flugzeug-Druck auf den Ohren und eine komische Heiserkeit, die mich zum ständigen Räuspern zwang. Und schwanger wurde ich auch immer noch nicht. Und mein Monatszyklus, der seit Jahren eine zu kurze zweite Zyklushälfte aufwies, bewegte sich keinen Millimeter (obwohl ich auch progesteronfördernde Mittel wie Mönchspfeffer usw. zu mir nahm).
An der Stelle ist es sicher nicht uninteressant, dass ich seit der Geburt meiner großen Tochter im Jahr 2007 schon drei Fehlgeburten hatte, jeweils im ersten Trimester, zwei davon sehr früh, eine etwas später. Und diese doofe Verschiebung in meinem Zyklus hatte ich eigentlich praktisch seit der Geburt. Niemand hat sich mal die Mühe gemacht, mich ordentlich durchzuchecken, gerade was die Sexualhormone angeht. Der Endokrinologe ließ sich zwar dazu breitschlagen, das „mal mitzumachen“, aber als es daran ging, die Laborergebnisse auszuwerten, wurde schnell klar, dass man sich das auch hätte sparen können. Obwohl ich extra zu zwei definierten Zeitpunkten im Zyklus zur Blutabnahme erschienen war, waren die auf dem Laborzettel vermerkten Normbereiche so gigantisch riesig, dass ich wahrscheinlich schon zu einer anderen Spezies hätte gehören müssen, um da herauszufallen. Dementsprechend fand der Arzt meine Werte „völlig okay“. Das Ganze roch mir fast schon nach einer Art Beschäftigungstherapie, „damit die liebe Seele Ruh‘ hat“.
Meine Schilddrüsenwerte hatten sich jedenfalls so entwickelt, dass das TSH, wie gesagt, gesunken war, das T4 (was ich ja einnahm) wie erwartet gestiegen war, und das T3 sich eigentlich praktisch nicht von der Stelle bewegte, sondern immer noch am unteren Normbereichsrand herumdümpelte. Irgendwann trug ich den Wunsch an meinen Arzt heran, das reverse T3 bestimmen zu lassen und statt dem T4 (L-Thyroxin) eine T3-Behandlung in Erwägung zu ziehen. Nochmal zurück zur Theorie: das reverse T3 (rT3) ist ein unwirksames Hormon, das bei einer fehlerhaften Umwandlung von T4 herauskommen kann. Wenn man also eine Umwandlungsstörung hat, dann hat man oft viel rT3 (was einem nichts nützt) und wenig echtes T3. Das rT3ist aber nicht nur unnütz, sondern blockiert auch noch die Rezeptoren für das echte T3, also verhindert es, dass die aktiven Schilddrüsenhormone ihre Wirkung entfalten können. Man fühlt sich mies und in der Folge können auch Sexualhormone verrücktspielen, weil die Schilddrüsenhormone ganz viele andere Hormonsysteme im Körper mitsteuern.
Mein Endokrinologe fand meinen Vorschlag überhaupt nicht cool. Er bezog sich auf ein Labor, das die Bestimmung des rT3 privat anbietet, und seine exakten Worte waren: „Wenn Sie medizinischen Blödsinn vorhaben, Frau Schaller, dann machen Sie das ohne mich.“ Dabei wurde er vor Entrüstung ziemlich rot im Gesicht. Das verstehe ich bis heute nicht, weil er eigentlich ein total netter und auch ‑ oberflächlich betrachtet ‑ zugänglicher Typ war. Aber vielleicht eben doch nur oberflächlich betrachtet. Jedenfalls habe ich dann den Arzt gewechselt. Ich habe mir eigentlich nicht viel davon versprochen, aber ich wollte einfach mal eine zweite Meinung hören und es dann gegebenenfalls gut sein lassen mit dem reversen T3, wenn das wirklich so eine Schnapsidee sein sollte.
Ich suchte meine ganzen Laborbefunde raus, nummerierte sie chronologisch und ging damit zu dem Endokrinologen, der mit meinem Gastroenterologen gemeinsam praktiziert. Dort hielt ich einen etwa 10-minütigen Vortrag zu meinem Verdacht auf Umwandlungsstörung, wobei ich ihm einen Befund nach dem anderen unter die Nase hielt. Als ich fertig war, sagte dieser Arzt: „Da kann ich mich eigentlich nur völlig Ihren Ausführungen anschließen, und ich schlage vor, ich verschreibe Ihnen T3.“ Woah?! So einfach? Echt jetzt?
Er verschrieb mir direkt T3 und ließ sogar das reverse T3 bestimmen. Komischerweise hatte er gar kein Problem damit, ein Labor zu finden, das diese Leistung anbot – ein Unterfangen, bei dem mein vorheriger Arzt mit seinen zweifellos leidenschaftlichen Bemühungen gescheitert war. Kurz darauf rief er an, um mir zu sagen, dass mein rT3 um ein Vielfaches erhöht war.
Also fingen wir mit dem T3 an, und meine ganzen doofen Ohrendruck- und Heiserkeitsprobleme waren Schnee von gestern. Die tauchten höchstens mal wieder auf, wenn ich eine Dosis vergessen hatte. Nach wenigen Monaten hatte sich mein Zyklus etwas verlängert, und so machte ich mal zum Spaß einen Ovulationstest. Ich versprach mir eigentlich nichts davon, weil in der Vergangenheit schon öfter eine temporär normale Zykluslänge zu meiner Enttäuschung kein Hinweis auf eine ebenso normale Ovulation gewesen war – die kam immer zu spät, so dass die zweite Zyklushälfte dann effektiv trotzdem verkürzt war. Aber nicht diesmal! Halleluja. Eine Ovulation mitten im Zyklus!
Direkt danach war ich schwanger und blieb es. Und das Ergebnis ist jetzt anderthalb Jahre alt. Ich nehme immer noch T3 (das Medikament heißt übrigens Thybon), habe aber die Dosis verringert. Ich komme damit sehr gut zurecht.
Kann alles nur Zufall sein, glaub ich aber nicht. Es ist ja so, dass wir schon in Kinderwunschbehandlung waren. Ich hatte schon die erste IUI hinter mir, die erfolglos verlief und nur viel kostete (weswegen wir dann auch das Thema Kinderwunsch erst einmal zurückstellten). So eine IUI wird ja sogar zum vorher per Ultraschall bestätigten exakten Zeitpunkt des Eisprungs durchgeführt. Das war aber vor dem T3 und bevor mein Eisprung und Zyklus sich normalisiert hatten. Und danach klappte es dann ja auf die konventionelle Art, und zwar beim ersten Versuch.
Vielleicht helfen diese Erfahrungen ja der einen oder anderen Patientin in praktischer Hinsicht; aber was ich daraus mal wieder gelernt habe, ist eigentlich vor allem, dass man als Patient(in) sein eigener Fürsprecher sein muss. Es nützt nun mal niemandem, sich geschlagen zu geben, ohne von den Argumenten des Arztes oder der Ärztin wirklich überzeugt zu sein. Das macht das Leben der Ärzte vielleicht nicht einfacher, aber wir sind ja auch nicht dafür da, den Ärzten das Leben leicht zu machen. Es gehört nun mal zum Job, auch mal etwas zu erklären und den Patienten als mündige Person ernst zu nehmen. Und wenn einem nicht anderes einfällt, als die Belange des Patienten als „Blödsinn“ zu bezeichnen, dann ist das eben kein überzeugendes Argument. In diesem Fall gab es eben auch kein besseres Argument, und ich bin froh, dass ich dem auf den Grund gegangen bin.
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